und die ganze Stadt auf den Beinen

 

Am Anfang die­ser Spu­ren­su­che stand ein altes Schwarz-Weiß-Dia, auf das ich an mei­nem frü­he­ren Arbeits­platz im Kom­mu­nal­ar­chiv Her­ford stieß. Ziem­lich ver­schmutzt und ver­kratzt, nach­ge­dun­kelt und mit einem Was­ser­fleck. Ein ech­tes Kümmerchen.

Aber spä­tes­tens nach einer vor­sich­ti­gen Rei­ni­gung wur­de es inter­es­sant. Es zeig­te einen sog. Zep­pe­lin. Bei genaue­rer Betrach­tung erwies er sich als Luft­schiff LZ 129 „Hin­den­burg“, das über Her­ford kreis­te. Aber wann moch­te das gewe­sen sein? Gibt es eine Geschich­te dahin­ter? — Den ers­ten wich­ti­gen Hin­weis lie­fer­te eine Nach­fra­ge im Zep­pe­lin Muse­um in Fried­richs­ha­fen am Boden­see. Dort ist das „Fahr­ten­buch“ des Luft­schif­fes vor­han­den. Es zeigt, LZ 129 flog nur ein­mal über Her­ford, näm­lich am 26. März 1936. Oder bes­ser: Her­ford lag auf dem Weg einer noch viel grö­ße­ren Tour. Damit war auch der Weg frei für alle wei­te­ren Recher­chen, die zu die­sem Arti­kel führten. 

 

Blick vom Bahn­damm hin­ter dem Klein­bahn­hof in Rich­tung Innen­stadt wäh­rend LZ 129 „Hin­den­burg“ am 28. März 1936 über Her­ford kreist. Bereits eini­ge Minu­ten zuvor hat­te LZ 127 „Graf Zep­pe­lin“ die Stadt über­flo­gen. Bei der soge­nann­ten Deutsch­land­fahrt wur­de aus den bei­den Luft­schif­fen Wahl­pro­pa­gan­da für die Pseu­do-Reichs­tags­wahl am 29. März 1936 abge­wor­fen. Von die­sem Ereig­nis sind bis­her nur zwei Foto­gra­fien bekannt, die sich, ver­kratzt und mit einem Was­ser­fleck, in einem sehr bedau­er­li­chen Zustand befin­den. Für die­se Ver­öf­fent­li­chung habe ich die Auf­nah­me nur sehr vor­sich­tig retu­schiert, auch um zu zei­gen, dass sogar der­art beschä­dig­te Fotos eine Bedeu­tung für die his­to­ri­sche Über­lie­fe­rung haben können.

Als am Sams­tag, den 28. März 1936 gegen 11 Uhr mor­gens das Luft­schiff LZ 129 „Hin­den­burg“, von Bie­le­feld kom­mend, über Her­ford flog, war fast die gan­ze Stadt „auf den Bei­nen“. Dabei waren Sams­ta­ge bis weit in die 1950er Jah­re ganz nor­ma­le Arbeits­ta­ge. Auch in den Schu­len wur­de sams­tags unter­rich­tet.  Das erklärt, wes­halb die Her­for­der Klein­bahn und auch der vor dem Klein­bahn­hof ste­hen­de EMR-Bus an die­sem Mor­gen nur weni­ge Fahr­gäs­te hat­ten. Aber auch die waren aus­ge­stie­gen. Alle blick­ten stau­nend auf die rie­si­ge sil­ber­ne »Zigar­re«, die im Volks­mund „Zep­pe­lin“ genannt wur­de. An die­sem die­sig-kal­ten Früh­lings­tag hat­ten die Fahr­plä­ne von Bus­sen und Bah­nen kei­ne Gel­tung mehr. Solan­ge in der Luft das sono­re Brum­men der Moto­ren zu hören war, stan­den auf der Erde die Maschi­nen still und in den Schu­len war Pause.

Vier Tage Non-Stop-Propaganda für den »Führer«

NS-Flugblatt zur Reichstagswahl 1936

Flug­blatt „Dei­ne Stim­me dem Füh­rer“ mit dem Auf­druck zur soge­nann­ten Deutsch­land­fahrt der „Hin­den­burg“ und „Graf Zep­pe­lin“. Das Flug­blatt wur­de aus den Luft­schif­fen in gro­ßer Zahl über bewohn­ten Gebie­ten abgeworfen.

Auf genau die­sen Effekt hat­ten die NS-Macht­ha­ber gesetzt. Sie benutz­ten das Luft­schiff, um für die einen Tag spä­ter statt­fin­den­de Pseu­do-Reichs­tags­wahl zu wer­ben. Erst am 4. März, drei­ein­halb Wochen zuvor,  hat­te LZ 129 sei­ne ers­te Pro­be­fahrt gemacht. Bereits drei Tage nach­dem es über Her­ford zu sehen war, soll­te es zu sei­ner ers­ten Atlan­tik­über­que­rung nach Rio de Janei­ro auf­bre­chen. Gera­de genug Zeit, um nach dem Wil­len des Regimes vor­her noch das gesam­te deut­sche Reich zu über­flie­gen. Vier Tage Non-Stop-Flug. Ins­ge­samt fast 6.700 Kilometer. 

Die­se „Deutsch­land­fahrt“ war als natio­na­les Event orga­ni­siert. Gemein­sam mit dem ande­ren deut­schen Luft­schiff „Graf Zep­pe­lin“ soll­te LZ 129 über den Städ­ten Wahl­pro­pa­gan­da abwer­fen. Auf Flug­blät­ter wur­de für „Dei­ne Stim­me dem Füh­rer“ gewor­ben. An den bei­den Sei­ten­leit­wer­ken, auf denen sonst die Natio­nal­fah­nen die Her­kunft eines Flie­gers anzei­gen, demons­trier­ten nun groß­flä­chi­ge Haken­kreu­ze, in wes­sen Dienst das Luft­schiff stand. Am Rumpf wie­sen fünf Olym­pia­rin­ge bereits auf das nächs­te Groß­ereig­nis hin. mit dem sich das Regime insze­nie­ren woll­te.  Die Olym­pia­de 1936.

Das Gebäu­de des frü­he­ren Klein­bahn­ho­fes ist heu­te Sitz einer Kran­ken­kas­se und liegt ein wenig ver­steckt hin­ter dem gro­ßen Park­platz eines Verbrauchermarktes.

Heu­te liegt der eins­ti­ge Klein­bahn­hof eher unschein­bar am Rand des rie­si­gen Park­plat­zes eines Ver­brau­cher­markts. Fast ver­steckt lag er auch 1936. Aller­dings inner­halb eines der Indus­trie­ge­bie­te der Stadt, die auf bei­den Sei­ten des Bahn­damms zwi­schen Bün­der- und Goe­ben­stra­ße ent­stan­den waren. Eines der wich­tigs­ten Ver­kehrs­zen­tren der Stadt, ganz hin­ten am Bahn­damm, „ein­ge­klemmt“ zwi­schen der Bunt­we­be­rei und Fär­be­rei Kne­mey­er (heu­te Ede­ka), der Land­wirt­schaft­li­chen Saats­tel­le und dem Bau­stoff­han­del Scheidt. Fast in Ruf­nä­he befan­den sich Her­for­der Tra­di­ti­ons­un­ter­neh­men wie Bokel­mann & Kuh­lo, Schön­feld und andere.

Unten Kleinbahn, oben Luxus auf dem Weg in die Welt

Das Foto aus dem Jahr 1936 bringt ein Mas­sen­ver­kehrs­mit­tel zusam­men mit einem der exklu­sivs­ten Fort­be­we­gungs­mit­tel sei­ner Zeit. Unten die Klein­bahn, die jähr­lich von mehr als einer Mil­li­on Fahr­gäs­ten im Kreis­ge­biet benutzt wur­de. In der Luft, aus­ge­stat­tet mit Platz für zunächst 50, spä­ter 72 Pass­gie­re, war abso­lu­ter Luxus auf gro­ßer Fahrt. Um dort dabei zu sein, muss­ten, wenn auch nur sym­bo­lisch, sogar die Obe­ren Zehn­tau­send Schlan­ge ste­hen, wenn sie einen der begehr­ten Kabi­nen­plät­ze für einen 60-Stun­den-Flug in die USA bekom­men wollten.

Briefmarke LZ 129 Hindenburg

Die „Hin­den­burg fürs Volk“. Wäh­rend der Traum von einer Fahrt mit dem Luft­schiff für die über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit der Deut­schen abso­lut uner­füll­bar war, konn­ten die Men­schen beim Betrach­ten einer Luft­post-Brief­mar­ke ihrer Phan­ta­sie fol­gend, ein­mal „Mit LZ 129 nach Nord­ame­ri­ka“ fahren.

Beson­ders in den Kri­sen­zei­ten der 1930er Jah­re hat­te es oft har­te Kri­tik an zu hohen Fahr­prei­sen der Klein­bahn gege­ben. Dabei ging es jeweils nur um Pfen­nigbeträ­ge. Dage­gen ent­zog sich der Preis für für einen Hin- und Rück­flug mit LZ 129 von Deutsch­land nach New York dem Vor­stel­lungs­ver­mö­gen der Nor­mal­bür­ger. Für die Fahrt im gedie­ge­nen Ambi­en­te von Spei­se­saal, Gesell­schafts­räu­men mit Kla­vier, Rau­cher­raum, Bar und Aus­sichts­ga­le­rien waren pro Per­son 720 bis 810 US-Dol­lar zu ent­rich­ten, nach heu­ti­gem Geld­wert etwa 12.000 bis 14.000 US-Dollar.

Aber nicht nur der Fahr­preis ließ die „Hin­den­burg“ wie zu einer ande­ren Welt gehö­rend erschei­nen. LZ 129 selbst hat­te Dimen­sio­nen, die auch nach heu­ti­gen Ver­hält­nis­sen für ein Luft­fahr­zeug kaum vor­stell­bar erschei­nen. Selbst auf his­to­ri­schen Foto­gra­fien sind die­se nur sel­ten erkenn­bar. Mit 246,7 Metern hat­te es die Län­ge von fast zwei­ein­halb Fuß­ball­fel­dern. Beim Über­flie­gen der Her­for­der Innen­stadt hät­te sich das Leit­werk von LZ 129 noch über dem Alten Markt befun­den, wenn die Bug­spit­ze bereits fast den Neu­en Markt erreicht hät­te. Auf den Lan­de­rä­dern ste­hend hat­te es mit 44,7 Metern bei­na­he die dop­pel­te Höhe des Her­for­der Bismarckturmes.

Der Über­flug am 28. März 1936 war das ein­zi­ge Mal, dass LZ 129 über Her­ford zu sehen war. Am 6. Mai 1937 brach bei der Lan­dung in Lake­hurst bei New York im Heck des Luft­schif­fes ein Feu­er aus, bei dem es inner­halb kür­zes­ter Zeit zu Boden stürz­te und aus­brann­te. 35 Men­schen kamen dabei ums Leben. Zu die­sem Zeit­punkt waren die „Deutsch­land­fahrt“ der Hin­den­burg und auch die Reichs­tags­wahl vom 29. März 1936 längst Epi­so­den.

Die Realität hinter der Zeppelin-Mega-Show

Wahlzettel Reichstagswahl 1936

Stimm­zet­tel für die Reichs­tags­wahl 1936. Gewählt wer­den konn­te nur die Ein­heits­lis­te der NSDAP. (Quel­le: Wikipedia)

Trotz­dem darf die ent­schei­den­de Rea­li­tät hin­ter der Zep­pe­lin-Mega-Show für die Mas­sen nicht ver­ges­sen wer­den: Die Pseu­do-Abstim­mung hat­te ein Ergeb­nis von 98,8 Pro­zent für die Poli­tik des „Füh­rers“ erge­ben. Es trug dazu bei, die NS-Herr­schaft ent­schei­dend zu fes­ti­gen. Auf dem Stimm­zet­tel konn­ten die Deut­schen nur ein ein­zi­ges Kreuz machen für die Ein­heits­lis­te der NSDAP. Auch lee­re Stimm­zet­tel, also ohne Kreuz, wur­den als abge­ge­ben für die NSDAP gewer­tet.  Gegen­stim­men waren nicht vor­ge­se­hen und wur­den des­halb auch nicht gezählt.  Die »feh­len­den« 1,2 Pro­zent erga­ben sich durch Wahl­zet­tel, die »abwei­chend« gekenn­zeich­net waren. Unter den so »gewähl­ten« 741 Abge­ord­ne­ten befand sich kei­ne Frau. 

Ange­sichts die­ser unge­heu­ren Insze­nie­rung wun­dert es fast nicht mehr, dass über dem Stimm­zet­tel in klot­zi­gen Let­tern die Wor­te zu lesen waren: „Reichs­tag für Frei­heit und Frie­den”. Es waren die bei die­ser Wahl »gewähl­ten« Abge­ord­ne­ten, die drei Jah­re spä­ter, am 1. Sep­tem­ber 1939 fre­ne­tisch brüll­ten und johl­ten, als Hit­ler vor dem Reichs­tag mit den Wor­ten: “Seit 5 Uhr 45 wird zurück­ge­schos­sen”, den deut­schen Über­fall auf Polen verkündete.

 

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